letzte Kommentare / Könnse den nicht mal vorbeischicken? Hier herrscht PROKRASTINATOR. Lakritze / LOL liuea


21
August

Was natürlich auch geil war - und ist - an der Zeit, in der wir leben: Dass man durch das Internet mühelos Querverbindungen aufbaut, die es in der klassischen Kohlenstoffwelt nur mühsam bis gar nicht gegeben hätte.

So war man als Kohlenstoffweltler ein Stück weit Fanboy in Bezug auf einen zeitgenössischen Schriftsteller gewesen. Hatte dann aber, durchs Internet vulgo Facebook befeuert, nicht nur die Möglichkeit erhalten, die von ihm transkribierte Ouvertüre einer Oper zu orchestrieren, sondern auch einige Monate später ihn im Backgammon dermaßen windelweich 9-3 aus dem Match zu prügeln, dass es nur so krachte.

Damit einher ging eine Entzauberung der Sonderklasse: Dieser Mann also, der so luzid und vivid schrieb, war so ein bizarrer, wortkarger Sonderling mit einem nachgerade erschreckenden Mund- und Körpergeruch? Entsetzlich! Und schon war die Ikone vom Sockel gefallen.


 
 

Die Stunde Null, der Neubeginn an einem anderen Ort, näherte sich unaufhaltsam. Man merkte das an ganz vielen Details. Einerseits an einer sich mählich verstärkenden Erschöpfung, ausgelöst durch vielfältige und andauernde Organisationstätigkeiten in Verbindung mit einem selbst auferlegten gemeinsamen Urlaubsembargo. Einer Erschöpfung, die einen zuweilen gegen 21 Uhr im Bett niederstreckte, die aber durchaus nicht als unangenehm empfunden wurde, sondern als eben vom Körper angemeldete Ruhephase.

Andererseits intensivierten sich die Träume, in denen Kolleginnen und Kollegen vorkamen. Es handelte sich um Träume, in denen Freundschaft, Zärtlichkeit, Irrsinn und Absurdes sich die Klinke in die Hand gaben; ein Zeichen, dass man diese Menschen, mit denen man einen Großteil seiner Werktage verbrachte, schätze und mochte und gemeinsam mit ihnen den Quatsch des Agenturlebens dann doch einigermaßen seelisch gesund durchstehen konnte. Und es waren dann nur noch die Endausläufer der Fehden mit der Exgattin sichtbar, die spürbar einknickte, deren Scharaden und Rochaden mehr und mehr ins Leere liefen, sich sogar teilweise gegen sie selbst wandten. Und zu guter Letzt war zu beobachten, wie glücklich, ausgeglichen, zufrieden die Tochter ihre Zeit in den Niederlanden verlebte. Eingebunden in einen multikulturellen Kreis, immer umsorgt von Freunden und ihr wohlgesonnenen Menschen. Sie hatte sich inert weniger Wochen etwas eigenes aufgebaut, das funktionierte und sie trug.

Nun würden bald die Umzugskartons geliefert. Man freute sich auf den nahezu meditativen Vorgang des Einpackens, Aussortierens, Wegwerfens, Verschenkens und Verkaufens. Nun wurde Spreu vom Weizen getrennt.

Man würde ein Leben betreten, in dem Restaurants und Bars und fortwährender Konsum edler Drinks in den Hintergrund rücken würden. Stattdessen würde man konzentriert arbeiten, morgens und abends Laufen gehen, Obst und Gemüse aus dem Garten holen, andere und neue Wege gehen - und nicht zuletzt eine neue Zweisamkeit erfahren, die auf der einen Seite intensiver und auch vielleicht fordernder sein würde, auf der anderen Seite aber unkomplizierter und mit weniger Herumgefahre zwischen Ost- und Westteil von Berlin verbunden sein würde.

Man würde jetzt überwiegend jeden Tag nebeneinander aufwachen und einschlafen, neue Rhythmen finden, wesentlich weniger vom Tagewerk und den Wegen gestresst sein.

Man würde Mobilität anders erleben. Anstatt jeden Tag von X nach Y zu hetzen würde man nun die meiste Zeit beieinander verbringen und dafür vereinzelte, längere Autofahrten im Kombi mit Pornoausstattung genießen können.

Die Geldströme würden sich völlig umleiten. Keine Mietzahlungen mehr, kein DriveNow, kein Car2go, kein Coup, kein Emmy, kein Kindesunterhalt, keine Bars, keine Restaurants. Das Netto würde ein völlig neues Netto werden. Man würde vermutlich erstmals seit 2014 wieder jeden Monat drei-, vielleicht sogar vierstellig Geld beiseitelegen.

Bereits eingerichtet war der Kaminofen, vor dem man herbstens und winters sitzen würde. Man sah schon jetzt das immer etwas unruhige Weibchen vor sich, wie es periodisch neue Holzscheite holte, einfüllte, auftürmte. Es würde vermutlich ganz ordentlich gemütlich werden.

Ein bis drei Tiere würden dazukommen. Die Tage des Hofhundes waren gezählt. Und man selbst hatte sich vom Hundehasser zum Hundefreund verwandelt, es würde dann also vermutlich ein neuer Hund kommen müssen. Und eine Katze. Und wer weiß, was noch.

Man würde sich verändern. Und das war dann jetzt auch fällig. Seelisch, gesundheitlich, ganz generell eben.


 
 
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