letzte Kommentare / Könnse den nicht mal vorbeischicken? Hier herrscht PROKRASTINATOR. Lakritze / LOL liuea


29
März

Langsames Auftauchen aus dem Winter. Es wurde von Tag zu Tag trockener und wärmer. Das Licht im Dachgeschoss änderte sich ebenso wie das Licht auf dem Hof, im Garten oder auf den Feldern. Es wurde weicher, goldener, weniger konturenscharf. Jetzt musste man schon nicht mehr jeden Tag den Holzofen befeuern. Obwohl man es natürlich gerne tat. Weil's geil war. Weil keine andere Heizung so schön fußwarm, duftend und erbaulich wärmt wie ein behaglich knisternder Kaminofen.

Inzwischen hatten sich allerlei neue Wege und Rituale herauskristallisiert: Der all wöchentliche Brötchenholturnus, der monatliche Besuch beim Grillhähnchenverkäufer auf dem Marktplatz, der neu entdeckte Supermarkt, der einen vor dem grausigen "Netto" bewahrte. Das 15 Fahrradminuten entfernte Brauhaus mit der mittwöchlichen Skatrunde, aber auch die künftig quartalsweise aufzusuchende Zahnärztin, nicht zuletzt die zu entdeckenden Städte, Flüsse und Radwege. Es gab hier alles, was man brauchte. Und man kam stressfrei hin.

Berlin hingegen war komplett sinnlos geworden. Es funktionierte dort gar nichts mehr. Die letzten beiden Besuche in der Stadt zeigten einen Ort der vollständigen Verrohung und Hilflosigkeit, des Drecks, der Kriminalität und der Widerwärtigkeit. Die Wohnung war gekündigt. Man hatte sich damit zwar nochmal ein neues Projekt (packen, umziehen, renovieren, entrümpeln) um den Hals gehängt, doch das wäre in drei Monaten erledigt und von dort an würde man jeden Monat 800 Euro Zweitmiete sparen.

Der Lada 1200 war ein guter Kauf gewesen. Wo man auch hinkam, winkten einem die Menschen fröhlich zu. Das kleine, leichte Gefährt brauste alert und autoscootergleich durch die Gegend. Es hatte zwar nicht die Gravität und perverse Eleganz des braunen Citroën Cx, fuhr sich aber im Gegenzug puppenleicht und wirkte für die Ewigkeit gebaut. Der Lada war halt für russische Bedingungen konstruiert und damit unkaputtbar.

Nach einem dunklen Januar, der mehrere Arschkarten ausgespielt hatte, spuckte die Kartenmischmaschine wieder ordentliche Blätter aus: Das Sozialversicherungssystem zahlte ordentlich aus, das Business der Gattin lief an. Genau wie geplant. Nicht zu heftig, aber genug zu tun. Die juristischen Kalamitäten hatten sich mit großer Wahrscheinlichkeit erledigt. Die Auftragsbücher waren voll, man hatte ordentliche Textmengen abzuliefern.

Allerdings war nun auch dringend Urlaub fällig. Insbesondere zweisamer. Das hatte man zuletzt doch arg vernachlässigt. Das würde man jetzt aber nachholen.

Es winkte eine Woche in Portugal. Es winkten zwei Wochen Griechenland, davon eine segelnd.

Und dann schon wieder Neuland: Die Tochter würde ihr Studium beginnen. Die Tochter, die während ihres Niederlande-Aufenthalts in einer Geschwindigkeit reifte, sich veränderte, spannender und intensiver wurde, die einen schwindelig werden ließ.

Und ja. Entschleunigung auf der anderen Seite.

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