letzte Kommentare / Könnse den nicht mal vorbeischicken? Hier herrscht PROKRASTINATOR. Lakritze / LOL liuea | |
23
August
Mond Konjunktion Mars.
21
August
Was natürlich auch geil war - und ist - an der Zeit, in der wir leben: Dass man durch das Internet mühelos Querverbindungen aufbaut, die es in der klassischen Kohlenstoffwelt nur mühsam bis gar nicht gegeben hätte. So war man als Kohlenstoffweltler ein Stück weit Fanboy in Bezug auf einen zeitgenössischen Schriftsteller gewesen. Hatte dann aber, durchs Internet vulgo Facebook befeuert, nicht nur die Möglichkeit erhalten, die von ihm transkribierte Ouvertüre einer Oper zu orchestrieren, sondern auch einige Monate später ihn im Backgammon dermaßen windelweich 9-3 aus dem Match zu prügeln, dass es nur so krachte. Damit einher ging eine Entzauberung der Sonderklasse: Dieser Mann also, der so luzid und vivid schrieb, war so ein bizarrer, wortkarger Sonderling mit einem nachgerade erschreckenden Mund- und Körpergeruch? Entsetzlich! Und schon war die Ikone vom Sockel gefallen.
Die Stunde Null, der Neubeginn an einem anderen Ort, näherte sich unaufhaltsam. Man merkte das an ganz vielen Details. Einerseits an einer sich mählich verstärkenden Erschöpfung, ausgelöst durch vielfältige und andauernde Organisationstätigkeiten in Verbindung mit einem selbst auferlegten gemeinsamen Urlaubsembargo. Einer Erschöpfung, die einen zuweilen gegen 21 Uhr im Bett niederstreckte, die aber durchaus nicht als unangenehm empfunden wurde, sondern als eben vom Körper angemeldete Ruhephase. Andererseits intensivierten sich die Träume, in denen Kolleginnen und Kollegen vorkamen. Es handelte sich um Träume, in denen Freundschaft, Zärtlichkeit, Irrsinn und Absurdes sich die Klinke in die Hand gaben; ein Zeichen, dass man diese Menschen, mit denen man einen Großteil seiner Werktage verbrachte, schätze und mochte und gemeinsam mit ihnen den Quatsch des Agenturlebens dann doch einigermaßen seelisch gesund durchstehen konnte. Und es waren dann nur noch die Endausläufer der Fehden mit der Exgattin sichtbar, die spürbar einknickte, deren Scharaden und Rochaden mehr und mehr ins Leere liefen, sich sogar teilweise gegen sie selbst wandten. Und zu guter Letzt war zu beobachten, wie glücklich, ausgeglichen, zufrieden die Tochter ihre Zeit in den Niederlanden verlebte. Eingebunden in einen multikulturellen Kreis, immer umsorgt von Freunden und ihr wohlgesonnenen Menschen. Sie hatte sich inert weniger Wochen etwas eigenes aufgebaut, das funktionierte und sie trug. Nun würden bald die Umzugskartons geliefert. Man freute sich auf den nahezu meditativen Vorgang des Einpackens, Aussortierens, Wegwerfens, Verschenkens und Verkaufens. Nun wurde Spreu vom Weizen getrennt. Man würde ein Leben betreten, in dem Restaurants und Bars und fortwährender Konsum edler Drinks in den Hintergrund rücken würden. Stattdessen würde man konzentriert arbeiten, morgens und abends Laufen gehen, Obst und Gemüse aus dem Garten holen, andere und neue Wege gehen - und nicht zuletzt eine neue Zweisamkeit erfahren, die auf der einen Seite intensiver und auch vielleicht fordernder sein würde, auf der anderen Seite aber unkomplizierter und mit weniger Herumgefahre zwischen Ost- und Westteil von Berlin verbunden sein würde. Man würde jetzt überwiegend jeden Tag nebeneinander aufwachen und einschlafen, neue Rhythmen finden, wesentlich weniger vom Tagewerk und den Wegen gestresst sein. Man würde Mobilität anders erleben. Anstatt jeden Tag von X nach Y zu hetzen würde man nun die meiste Zeit beieinander verbringen und dafür vereinzelte, längere Autofahrten im Kombi mit Pornoausstattung genießen können. Die Geldströme würden sich völlig umleiten. Keine Mietzahlungen mehr, kein DriveNow, kein Car2go, kein Coup, kein Emmy, kein Kindesunterhalt, keine Bars, keine Restaurants. Das Netto würde ein völlig neues Netto werden. Man würde vermutlich erstmals seit 2014 wieder jeden Monat drei-, vielleicht sogar vierstellig Geld beiseitelegen. Bereits eingerichtet war der Kaminofen, vor dem man herbstens und winters sitzen würde. Man sah schon jetzt das immer etwas unruhige Weibchen vor sich, wie es periodisch neue Holzscheite holte, einfüllte, auftürmte. Es würde vermutlich ganz ordentlich gemütlich werden. Ein bis drei Tiere würden dazukommen. Die Tage des Hofhundes waren gezählt. Und man selbst hatte sich vom Hundehasser zum Hundefreund verwandelt, es würde dann also vermutlich ein neuer Hund kommen müssen. Und eine Katze. Und wer weiß, was noch. Man würde sich verändern. Und das war dann jetzt auch fällig. Seelisch, gesundheitlich, ganz generell eben.
08
August
Nun war das Kind also in Holland. Die Spuren verliefen sich. Man selbst lebte zwischen Kisten, sortierte ein und aus, kündigte Verträge und schloss neue ab. Man hatte sich von O2 und Vattenfall befreit, T-Mobile und VDSL am neuen Ort geordert, existierte behördlich im Niemandsland zwischen zwei Steuernummern - und sehnte sich der Ruhe, dem Land, dem Frieden entgegen.
05
Juli
Es ist erstaunlich: Das im Privatbesitz befindliche Auto, noch dazu dasjenige mit Verbrennungsmotor, liegt am Boden. Seine Besitzer stehen mit dem Rücken zur Wand. Es ist - zumindest in Metropolen - unvernünftig, ein Auto zu besitzen. Es verursacht permanente, laufende Kosten, es verbreitet Emissionen, es raubt Platz, und und und. Und in den genannten Metropolen steht es eigentlich nur noch im Stau und nervt. Und doch schlägt mein Herz jedesmal höher, wenn ich dieses unvernünftige, raumgreifende, schwer zu lenkende, aufgrund der Last der Jahre ächzende Automobil sehe. Diese Farbe! Diese Linien! Diese Geometrie! Diese Innenausstattung! Wenn dann dieses 43 Jahre alte Getüm nach kurzem Orgeln verlässlich startet, die Hydropneumatik Druck aufbaut und erst das Heck, dann die Front nach oben schwebt. Wenn man sich schwer am Lenkrad kurbelnd aus der Tiefgarage entfernt, sich langsam aus der Stadt herauskämpft, bis man erstmals auf der freien Landstraße ist und den herrlich lang übersetzten vierten Gang einlegen darf. Wenn das Gleiten über die Straßen beginnt, der Motor seidenweich und rund läuft, die müden elektrischen Fensterheber in Zeitlupe arbeiten und sommerliche Frischluft hereinlassen. Wenn man in nicht steigerbarer Eleganz durch die Kurven gleitet, aus purer Lebenslust die Zweiklangfanfare erklingen lässt - mit Blick auf den behäbig laufenden Lupentacho und den Drehzahlmesser, der VW-Käfer-like selten über 2.800 Touren geht, dann ist das eben leider doch: geil, geil, geil, geil, geil. Nebenan hat das Weib die Füße auf dem Handschuhfach und grinst zufrieden. Ja, das ist in Zeiten der Götterdämmerung der Individualmotorisierung erschreckend unzeitgemäß und auf mindestens eine Art und Weise falsch. Es ist auf der anderen Seite aber auch der Abschiedsschmerz einer Epoche, die schon bereits meine Tochter gar nicht mehr betreten wird: keine Notwendigkeit für Führerschein, keine Notwendigkeit für Autos. Gut und richtig. Ja. Die heute um die 40- bis 50-jährigen werden die letzten sein, die dieses zweifelhafte Vergnügen noch haben. Man sollte es achtsam betreiben und vielleicht auch mal von der Seite sehen: Ein wenig gefahrenes Auto, das fast so alt ist wie man selbst, hat über seinen gesamten Lebenszyklus vermutlich eine nicht ganz so schlechte Karma- und Ökobilanz wie mehrere tagesaktuelle E-Fahrzeuge, deren Lithium-Ionen-Akkus nur deswegen existieren, weil in der Demokratischen Republik Kongo unter widerlichsten Bedingungen seltene Erden geschürft werden und die Lebensdauer einzelner Baugruppen ebenso wie deren Verschrottungsfootprint noch völlig unbekannt sind. Man würde eben die letzten Reisen nach altem Muster unternehmen.
Zum ersten Mal im Leben gemacht: eine Party für 90 Leute ausgerichtet. Familie, Freunde, drei Generationen - alles 180 Kilometer vom aktuellen Wohnort entfernt und damit eine besondere Logistikaufgabe: Drei Cateringdienste, ein Partyausstatter, Dixi-Klos, Übernachtungen, Barkraft, Hilfspersonal, Taxis, Shuttles und Bahnhofabholungen organisieren, Hof und Scheune herrichten und dekorieren, Musikanlage und Musik klarmachen, Kaffee, Kuchen, Abendessen, Frühstück. Ein Anreiseauto blieb auf der Bundesstraße liegen, die hochbetagte Mutter strandete mit dem Intercity in Hannover, ein Feld des Schwiegercousins brannte. Und dann, trotzdem, genau zur rechten Zeit funktionierte alles. Zusammenführung von Freundes- und Verwandtenkreisen beider Seiten. 90 zufriedene, essende, trinkende, tanzende Menschen. Geschenke. Ausgelassenheit, Freude. Man hatte der richtigen Person "ja" gesagt und man hatte die richtigen Dinge gewagt. Und es ist, es ist ok, alles auf dem Weg, und es ist Sonnenzeit, unbeschwert und frei.
17
Mai
Whisky und Bier vor der Babette Bar. Und plötzlich kracht alles ein und Tränen laufen. Anspannung, Erleichterung, Vorfreude.
Und dass die EU-Kommission Deutschland verklagt, ist nur folgerichtig. Dass die Automobilindustrie ungestraft betrügt, mordet und verarscht, ist zersetzend und bösartig. Endlich war ein Startpunkt für Sedimentsumwälzungen gesetzt.
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