letzte Kommentare / Könnse den nicht mal vorbeischicken? Hier herrscht PROKRASTINATOR. Lakritze / LOL liuea


20
Mai

Portugal. Die kleine, ärmliche, etwas zerzauste Schwester Spaniens, besseres Licht, gröberes Bier, lustigere Sprache. Konnte man sich gleich am ersten Tag wohlfühlen. Doch. Gut.

Man lag dort gut herum. Man fuhr dort schön umher mit dem lustigen kleinen Mietwagen. Man sah Wolken, Wind, Wellen, tapste noch etwas unkundig (der lange Winter) am Strand entlang, genoss Gazpacho, Käse-Schinken-Toast und Vinho Verde. Man betrat auch Gotteshäuser und wünschte sich was.

Die Sekundenzeiger der Jahresuhr hatten schon eine ganze Weile lang vernehmlich getickt. Nun rückte auch der Minutenzeiger vor.

Die Temperatur veränderte sich, das Verhältnis aus Trockenheit und Regen veränderte sich. Die wochenlang ruhenden Setzlinge schlugen plötzlich aus - und nach gut zwei Monaten hatte sich das eher spröde anmutende Beet plötzlich in ein reichhaltiges Gemüsereservoir verwandelt. Man speiste die ersten Radieschen, den ersten Rübstiel, das erste Basilikum aus eigener Haltung.

Wohnung Nummer 2 war gekündigt, es wurde entrümpelt und Mobiliar verschenkt - und auf diese Weise lernte man noch tolle und skurrile Menschen kennen. Ja, auf diese Weise schlief man sogar erstmals selbst auf dem Bett, das man ursprünglich für Gäste angeschafft hatte. Komisches Leben.

Die Gesundheitsthemen waren hier und da immer noch vorhanden, man war aber inzwischen soweit, diesen einen Platz in der dritten Reihe zuzuweisen anstatt auf dem Podium. Das Gewichtsreduktionsprogramm - eigentlich war es ein Algorithmus - lief. Nicht gerade in Spitzenzeit, aber es lief.

Überhaupt, wie einem das Leben immer wieder spannende Menschen anspülte. Dass man - gerade in der vermeintlichen Einsamkeit - die absonderlichsten und durchaus auch wertvollen Bekanntschaften machte.

So konnte man auch endlich einmal wieder auf einer Kirchenorgel Präludien eintippen. Es war ja eh der Kirchenorgel-Hochgenuss, eben nicht die Tutti-Scheiße zu registrieren, sondern die zarten, sanften Acht-Fuß-Register, die Gedacktpfeifen, die Schalmeien, vielleicht auch ergänzend ein 16-Fuß-Bordun, das selbst den manualiter eingespielten Stücken eine gewisse Tiefe verlieh.

Überhaupt, ausgerechnet von einem wirrköpfigen Pfarrer, der schon Pilger aus seinem Garten fortgescheucht hatte, eingeladen zu werden in ebenjenem Garten zu sitzen und Rotkäppchen halbtrocken zu trinken: boah!

Innen rasselte die Spielothek, draußen prasselte der Regen, es ging soeben der erste Donner hernieder, die Wäsche wurde auf der Leine nun halt ein zweites Mal gewaschen. Und wenn?


 
 
29
März

Langsames Auftauchen aus dem Winter. Es wurde von Tag zu Tag trockener und wärmer. Das Licht im Dachgeschoss änderte sich ebenso wie das Licht auf dem Hof, im Garten oder auf den Feldern. Es wurde weicher, goldener, weniger konturenscharf. Jetzt musste man schon nicht mehr jeden Tag den Holzofen befeuern. Obwohl man es natürlich gerne tat. Weil's geil war. Weil keine andere Heizung so schön fußwarm, duftend und erbaulich wärmt wie ein behaglich knisternder Kaminofen.

Inzwischen hatten sich allerlei neue Wege und Rituale herauskristallisiert: Der all wöchentliche Brötchenholturnus, der monatliche Besuch beim Grillhähnchenverkäufer auf dem Marktplatz, der neu entdeckte Supermarkt, der einen vor dem grausigen "Netto" bewahrte. Das 15 Fahrradminuten entfernte Brauhaus mit der mittwöchlichen Skatrunde, aber auch die künftig quartalsweise aufzusuchende Zahnärztin, nicht zuletzt die zu entdeckenden Städte, Flüsse und Radwege. Es gab hier alles, was man brauchte. Und man kam stressfrei hin.

Berlin hingegen war komplett sinnlos geworden. Es funktionierte dort gar nichts mehr. Die letzten beiden Besuche in der Stadt zeigten einen Ort der vollständigen Verrohung und Hilflosigkeit, des Drecks, der Kriminalität und der Widerwärtigkeit. Die Wohnung war gekündigt. Man hatte sich damit zwar nochmal ein neues Projekt (packen, umziehen, renovieren, entrümpeln) um den Hals gehängt, doch das wäre in drei Monaten erledigt und von dort an würde man jeden Monat 800 Euro Zweitmiete sparen.

Der Lada 1200 war ein guter Kauf gewesen. Wo man auch hinkam, winkten einem die Menschen fröhlich zu. Das kleine, leichte Gefährt brauste alert und autoscootergleich durch die Gegend. Es hatte zwar nicht die Gravität und perverse Eleganz des braunen Citroën Cx, fuhr sich aber im Gegenzug puppenleicht und wirkte für die Ewigkeit gebaut. Der Lada war halt für russische Bedingungen konstruiert und damit unkaputtbar.

Nach einem dunklen Januar, der mehrere Arschkarten ausgespielt hatte, spuckte die Kartenmischmaschine wieder ordentliche Blätter aus: Das Sozialversicherungssystem zahlte ordentlich aus, das Business der Gattin lief an. Genau wie geplant. Nicht zu heftig, aber genug zu tun. Die juristischen Kalamitäten hatten sich mit großer Wahrscheinlichkeit erledigt. Die Auftragsbücher waren voll, man hatte ordentliche Textmengen abzuliefern.

Allerdings war nun auch dringend Urlaub fällig. Insbesondere zweisamer. Das hatte man zuletzt doch arg vernachlässigt. Das würde man jetzt aber nachholen.

Es winkte eine Woche in Portugal. Es winkten zwei Wochen Griechenland, davon eine segelnd.

Und dann schon wieder Neuland: Die Tochter würde ihr Studium beginnen. Die Tochter, die während ihres Niederlande-Aufenthalts in einer Geschwindigkeit reifte, sich veränderte, spannender und intensiver wurde, die einen schwindelig werden ließ.

Und ja. Entschleunigung auf der anderen Seite.


 
 
29
Januar

Mal wieder ein paar Tage in Berlin. Ja, es gab Schönes: gute Gespräche und echten Spaß mit Kolleginnen und Kollegen. Ein sanftes Abtauchen in den zuweilen wirklich urkomischen Agenturquatsch, ein paar schöne Eilaufträge, die das kreative Hirn streichelten. Einen rundheraus gelungenen Kundenworkshop, der nur deshalb gelang, weil man nicht mehr an dem Pitchirrsinn teilnehmen musste, bzw. nur in hömopathischen Dosen.

Aber Berlin hatte einen auch gleich wieder am Schlawittchen. Einen längst abgeschriebenen Zwist wieder am Hals, nämlich eine völlig haltlose Beschuldigung des unerlaubten Entfernens von einem Unfallort. Anwaltskacke, Beschwichtigungsmist, taktieren, experimentieren, hoffen, mal wieder alles auf eine Karte setzen.

Im Gegenzug stand nun der neu erworbene Oldtimer zur Abholung bereit. Im Gegenzug erwies sich die Mutter neuerlich als zäh und lebensfroh. Und nicht zuletzt konnte man nun einmal Staatsleistungen anfordern. Immerhin. Equilibrum, mal wieder.


 
 
24
Januar

Das Jahr 2018. Schon wieder eine Weile her.

Gewesen:

Annot. Aschersleben. Bad Frankenhausen. Bad Harzburg. Bad Saarow. Berlin (Neuzugang). Bonn. Brodowin. Chorin. Drei Annen Hohne. Egeln. Feldberg. Frankfurt/Main. Golm. Hamburg. Herzfelde. Huy. Kap Ferrat. Magdeburg. Münster. Neuruppin. Nizza. Petkus. Radevormwald. Rewal. Rübeland. Schäpe. Schierke. Schönebeck. Staßfurt. Trzęsacz. Unseburg. Utrecht. Walbeck. Westerburg.

Gelesen:

Bartsch, Sebastian: Jakobusweg in Sachsen-Anhalt. Baum, Antonia: Stillleben. Hirsch, Henning: In der Geschlossenen. Fischer, Frank: Südharzreise. King, Stephen: Duddits. Nickel, Eckhardt: Hysteria. Renegade: The Lives and Tales of Mark E. Smith. Thürmer, Christine: Wandern, Radeln, Paddeln. Wawerzinek, Peter: Schluckspecht. Zeh, Julie: Unterleuten.

Gehört:

Behemoth: I loved you at your Darkness. Boa, Philipp: Earthly Powers. Cursive: Vitriola. Element of Crime: Schafe, Monster und Mäuse. Garda: Odds. Interpol: Marauder Mascis, J: Elastic Days. Smashing Pumpkins: Shiny and so bright. Typhoon: Offerings. Wave Pictures: Look inside your heart.

Der Auszug. Der Umzug. Der Einzug.

Unerwartete Einnahmen von der Kautionsrückzahlung über die Kfz-Versicherungsrückzahlung bis zum Roulettesystem.

Passat gekauft. Citroën verkauft.

Berlin war sehr, sehr weit weg. Es gab nur noch die Kollegennabelschnur.

Was, wenn man die Berliner Wohnung einfach aufgeben würde? Sie war eh kalt und unpersönlich geworden - und man kam aufgrund der zahlreichen Baustellen im Grunde auch gar nicht mehr unter vertretbaren Aufwänden dorthin. Und warum überhaupt sollte man ausgerechnet einer dysfunktionalen Stadt noch Zweitwohnungssteuer hinterherwerfen? Dann optimierte man doch lieber (weiter) die Nettoeinkünfte.

Die Reiseziele in 2018 waren ausnahmsweise weniger glamourös, sondern tendenziell geriatrisch oder retrospektiv. War aber okay.

Die Krebs-Versicherung. Die Orthopädie. Die Lektoratfeuerwehr. Remember the Maine. Du. Dödl. Di. Ortoton. Ibuflam.

RECHNUNG Tisch 3/01 Kellner: Kellner 1 2x DRY MARTINI 17,80 1x GUYANA MANHATTAN 8,90 3x MANHATTAN 26,70 1x Datteln im Speckmantel 4,90 1x Rittenhouse 1,00 1x Wild Turkey 1,00 1x Jackie Brown 10,00 1x Coca-Cola Flasche 4,00 1x Clubsandwich 14,50

SUMME: 89,30

Hin segelte der Hunni, hin segelte ich in die Bubumaschine: Auf Wiedersehen, 2018.


 
 
06
Dezember

Das Jahr ging in den Endspurt. Es war ein ungeheuer erlebnisreiches, angefülltes Jahr gewesen. Mehrere große Wünsche hatten sich realisiert und materialisiert. Das war sehr, sehr gut. Ich lebte mit dem Menschen, den ich liebte und wir lebten das Leben, das wir uns gewünscht hatten. Und es zeigte sich eher noch ein Stück weit besser als das, was wir uns erträumt hatten.

Der franzsösische Oldtimer war verkauft. Es war Zeit für ein neues Projekt. Ein sehr interessantes Exemplar wartete schon, in knallrot, möglicherweise neuwertig. Auf jeden Fall etwas Besonderes wieder einmal.

Zwischendurch zwei Berlin-Aufenthalte, die beruflich einiges in klareres Licht rückten. Und wieder einmal eine kleine, ungeplante Rochade, die im Zweifelsfall Vorteile bringen würde. Man war dann nämlich doch wieder im unerwarteten Moment zäh.

Das wiederum war nur möglich, weil man jeden Tag Liebe spürte. Und draußen war aus dem Quatsch der Großstadt. Und weil man wieder einmal Zeit gefunden hatte, sich sieben Tage lang gemeinsam zu entspannen, bei Spa, Whirlpool, Sauna, Spaziergängen und kommoden Fahrten im sacht nach Öl duftenden Oldtimer.

Jetzt galt es, die familiäre Baustelle der unerwartet baufälligen Mutter zu betrachten. Und das Jahr nach einer vermutlich anstrengend werdenden Coda weihevoll unter den Tisch zu trinken. Wohlan.


 
 
11
November

Knapp zwei Monate am neuen Wohnort. Man war jetzt schon im Geiste kein Städter mehr, hatte sich neue Bekanntschaften erschlossen, wenn auch zaghaft. Man war auf Menschen getroffen, die auch von woandersher kamen und hier ihr Glück versuchten. Man vermisste Berlin ganz erstaunlich wenig. Hatte umso mehr Spaß daran, die Möglichkeiten vor Ort und in der Umgebung auszuprobieren, ganz neue Allianzen zu schmieden, gemeinsam zu entdecken.

Und Berlin sendete eine merkwürdige Störung auf einer bisher gänzlich unbekannten Frequenz. Gut daran war, dass das Radio, das diese Störung übertrug, nicht mehr zwingend gebraucht wurde und gegebenenfalls entsorgt werden konnte.

Man hatte sich auch innerhalb teils komplexer Familienangelegenheiten als insgesamt kompetenter und leistungsbereiter Feelgood-Manager zeigen können.

Nun würde man jedoch erst einmal eine Woche lang Wellnesshotels bespielen und langsam niedrigtemperaturgarend in allerlei Spas herumlungern.

Und danach würde man vielleicht eine neuerliche Ereigniskarte ziehen.

 
 
15
Oktober

Ein neuer Erstwohnsitz im Personalausweis. Zwei umgemeldete Autos. Vorsprechen beim neuen Finanzamt, beim neuen Friseur, beim neuen Garagengeber. Ein sich täglich lichtendes Wohnungschaos. Langsam einkehrende, neue Routinen.

Auch sehr schön: Dass man den neuen Wohnort mit gänzlich anderen Augen betrachtete als diejenigen, die einen hergelockt hatten. Andere Allianzen, andere Wege, andere Entspannungsziele, andere Wanderungen, anderes Einkaufen. Das alles aber im Frieden und gegenseitigen Respekt.

Tagsüber knallte man die Texte, Konzepte und Projekte weg, tat der Agentur also im Gegenzug durchaus mehrere Gefallen für den einen großen Gefallen, von hier aus arbeiten zu dürfen. Um 17 Uhr war Schluss mit dem Unsinn, dann war Zeit für Eigenes. Und man liebte es, die einsamen, von der Sonne perfekt beleuchteten Alleen entlang zu brausen, ohne Stau, ohne Tatütata, ohne Generve. Man glitt dahin bei 110 km/h mit dem durchzugsstarken, aber fast unhörbaren 1.8-Liter-20-Ventil-Turbo.

Es ist unglaublich ruhig hier. Ich habe lange nicht mehr so gut geschlafen. Durchs frühe Schlafengehen ergibt sich ein nahtlos in den Tag gleitendes Intervallfasten, was einen pro Woche ohne jedwede Entbehrung vollautomatisch ein Pfund abnehmen lässt.

Und man konnte ja noch nach Berlin, wenn man wollte. Wenn man eine gute Bar brauchte, wenn man die Kolleginnen und Kollegen sehen wollte.

Aber man musste nicht. Man konnte auch einfach hierbleiben, fern von der Zugriffsmöglichkeit des zuweilen auch schädlichen Agenturirrsinns. Es war jetzt alles noch richtiger als schon vorher.

Wandern, ausgedehnte Oldtimerfahrten, Grillen im Garten, was wegschafffen, es ging jetzt alles, so wie man wollte.

Und den Negroni konnte man sich dann eben auch selber mixen.

Alles gut.


 
 
27
September

Und wieder hatten sich die Dinge neu und rasant abgespult. Man hatte einen Haushalt aufgelöst, einen zweiten so halb, die Tochter in die Niederlande gebracht und eine komplett neue Heimat bezogen.

Wie mir meine Tochter ihr Utrecht zeigte. Ihre Kneipen, ihr neues Zimmer, ihre Grachten, ihre Arbeitsstätte.

Und dann ein plötzlicher Abschied. Nahezu betäubt raste ich mit dem Auto die 613 Kilometer nach Berlin zurück. Nun war sie dort und ich hier. Ja, sie würde mir fehlen. Aber auch freute ich mich für sie: ihr eigenes Leben, ungestört Dinge tun, die sie für richtig hielt. Sie war gut aufgehoben.

Der Tag des Umzugs. Kisten, Gegenstände, Chaos.

Das kaputtgegangene VDSL wiederherstellen.

Und dann plötzlich auf dem Land sein. Mit einer neuen Adresse im Personalausweis. Irre. Und geil.

Ruhe. Tiefschlaf bester Güte. Zweisamkeit. Gemeinsames Arbeiten.

Über weite Felder spazieren. Frischluft.

Eine kleine Fahrradtour mit 135 Kilometern. Über Genthin in die neue Heimat.

Im Auftrag des Unternehmens Aufträge reinholen.

Glücklich sein.


 
 
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